COVID-19 im Turaland

Das Echo auf Coronavirus aus dem ländlichen Afrika liess von Anfang an keine Zweifel am Ernst der Lage: „Alle haben Angst.“ Die Elfenbeinküste war vor fünf Jahren von der westafrikanischen Ebola-Epidemie verschont geblieben, als diese nur wenige Kilometer von der Grenze entfernt in den westlichen Nachbarländern Tausende von Opfern forderte.

Die Furcht vor dem neuen, unbekannten Virus, in der lokalen Gefahrenskala als bhàyúá yóo „unheimliche Krankheit“ eingestuft, hält sich die Waage mit der Hoffnung, dass, wie damals Ebola, heute auch COVID-19 mit Disziplin und Gottes Hilfe (angesichts der Grenzen des Service public keine leere Floskel) besiegt werden könnte. In erster Linie hält man sich an die Vorgaben der Gesundheitsbehörden: regelmässiges Händewaschen – keine einfache Sache ohne fliessendes Wasser! – Einhaltung des Mindestabstands (ein Meter), und Meidung von Ansammlungen sind die am häufigsten genannten Sicherheitsvorkehrungen.

Angesichts des Dauerkrisenmodus brennt die Frage auf der Zunge, was geschieht, wenn jemand sich trotzdem anstecken sollte. Die Antwort ist die gleiche wie damals bei der Ebola-Epidemie: „Ein Medikament gegen den angesagten Tsunami gibt es nicht.“ Entsprechend gross ist die Angst, entsprechend gross auch die Neigung, zu vorbeugender Selbstmedikation mit Mitteln Zuflucht zu nehmen, die über soziale Medien oder von Mund zu Mund propagiert werden: Naturprodukte wie Malariakuren mit Neemblättern; ein selbst gebrauter Heiltrunk, der nicht ohne Gefahr für Gesundheit und Leben ist.
Dieses Bild von der Lage wird allerdings nuanciert, wenn man genauer hinsieht und den Menschen in den Dörfern zuhört. Einem Tipp der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zum Umgang mit Epidemien folgend, haben wir versucht zuzuhören.


Empfang beim Dorfchef:
Händewaschen! (Dio)

Frauen in Blégouin
Engagiert auf Distanz!

Kokialo =“Was tun?“
Einstündiger Austausch mit dem Rat der Weisen


Eine Anfang April von den Partnern vor Ort durchgeführte Umfrage in vier Dörfern hat ergeben, dass der Informationsstand zum COVID-19 über Erwarten gut ist und es bei den Verantwortlichen auch nicht am guten Willen und Humor fehlt. Was die Analyse der Gesprächsaufnahmen allerdings auch zeigt, ist das Fehlen von Orientierungswissen in der lokalen Sprache, das den Umgang mit der Fülle von widersprüchlichen Informationen erleichtern könnte. Wie auch bei uns, kann selbst die strenge Einhaltung der Schutzmassnahmen zur Krise führen, zum Beispiel im Zusammenleben im gemeinsamen Haushalt. Und wie schon während der Ebola-Krise erweist es sich als grosses Hindernis, dass Konzepte im Zusammenhang mit Infektion, Inkubation und Pathologie den lokalen Vorstellungen von Krankheit, von ihren Ursachen und vom Umgang damit fremd sind. Das Lehnwort mánáti, von französisch ‚maladie‘ abgeleitet, dient als undifferenzierter Sammelbegriff zur Bezeichnung für alles, was in irgendeiner Weise mit der Krankheit, ihrer Entstehung, ihrer Übertragung und ihren Auswirkungen zu tun hat. Auch das Virus kommt im lokalen Diskurs nicht als eigene Grösse vor. Als Folge davon fehlt die Tatsache, dass COVID-19 auch ohne Krankheitssymptome übertragen werden kann, auf der Checkliste der zu meidenden Risiken – selbst ein Risiko (das nicht auf Afrika beschränkt ist).

Leider sind sprachlich-kommunikative Hürden zur inklusiven Gesundheitsversorgung im vielsprachigen Afrika immer noch unterbelichtet und Bemühungen zugunsten der angestrebten „globalen Chancengleichheit im Gesundheitswesen“ unterfinanziert. Der Schlüssel zu einer generell verbesserten Lebensqualität (und Lebenserwartung!), wie wir sie bei uns für selbst-verständlich halten, ist nicht nur der Ausbau der medizinischen Versorgung als solcher, sondern parallel dazu die Vermittlung von entsprechendem Wissen in den lokalen Sprachen, das z.B. Verhaltensregeln nachvollziehbarer macht und Pseudo-Information durchschauen hilft. Ansätze dazu wurden bereits im Jahr 2010 an einem Workshop in Lausanne zur AIDS-Kommunikation, sowie im Anschluss an den Ebola-Workshop in Man an der Elfenbeinküste im Oktober 2014 entwickelt. Die Corona-Krise ist eine einmalige Gelegenheit, dieses Ziel im Austausch mit Gesprächspartnern in den Dörfern weiter zu verfolgen.

Statistiken. Auf dem afrikanischen Kontinent hat die Schweiz 800 Mal Platz. Ganz Afrika zählt heute insgesamt etwa viermal (8. Juni) so viele registrierte Corona-Fälle wie die Schweiz. Das Verhältnis der im Zusammenhang mit der Pandemie gemeldeten Todesfälle liegt bei zwei zu eins. Allerdings sind solche Vergleiche Momentaufnahmen, die keine sicheren Voraussagen über die künftige Entwicklung der Bedrohungslage zulassen. Dies gilt auch im Blick auf die Elfenbeinküste (Côte d’Ivoire).

Schule und Pandemie. In Côte d‘Ivoire wurde die Gefahr einer Pandemie für das Land nicht erst beim Ausbruch von COVID-19, sondern schon vorher ernst genommen. Im Gesundheitsministerium hat man sich aufgrund der Erfahrung mit Ebola schon seit 2018 auf den jetzt eingetretenen Fall einer Pandemie vorbereitet. Kern der jetzt angewandten Strategie war von Anfang an die Isolation des 6 Millionen-Grossraums von Abidjan, wo die ersten Fälle auftraten und es zu einer Ansteckungskette durch Reisende aus Europa kam. Die Einhegung dieses Raums und, damit verbunden, die Unterbindung des Reiseverkehrs nicht nur von und nach aussen, sondern auch ins Landesinnere und umgekehrt, hatte zur Folge, dass das gesamte Hinterland bisher nur minim oder gar nicht vom Virus betroffen ist. Auch aus dem Turagebiet ist bis heute kein einziger Coronavirus-Fall bekannt.

Eine leise Ungewissheit über den weiteren Verlauf gab es in den letzten Tagen, als die Wiedereröffnung der Schulen im Landesinnern einen Rückreiseschub von in der Metropole blockierten Lehrern und Schülern auslöste. Am Wochende (5. Juni) wurde bekannt, dass die Abschlussprüfungen an der Primarschule „ins Wasser fallen“ (aber nicht wegen der Regenzeit), nicht aber das „Brevet“ auf der drei Jahre höheren Stufe mit einer halben Million Prüfungskandidaten. Dass auch die Maturaprüfungen im Unterschied zur Schweiz nicht zur Diskussion stehen, versteht sich in einem zentral geführten Bildungssystem ohnehin.

Eher zufälligerweise haben wir bei einem Whatsapp-Kontakt mit dem Direktor der Schule unseres Partnerdorfes Yenggbeyalé sprechen können. Er bestätigte uns, dass die Schule im Dorf wieder angefangen hat und dass für die nächsten Jahre starke Jahrgänge erwartet werden. Wir hoffen nun, dass auch die landesweite Corona-Statistik nicht weiter in die Höhe schnellen, sondern sich dem Tiefstand der Statistik des Turalandes annähern wird und damit die zweite Stufe des mit Spreitenbacher Hilfe finanzierten Schulprojekts bald in Angriff genommen werden kann.


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15. Februar 2020, gerade noch vor Corona. Schulplanung (2) und Kaffeebilanz (6) unter dem Palaverbaum. Auch dabei: Eltern der Kakaopflanzer aus Burkina (3). Schulkinder lernen nicht nur Rechnen und Lesen (1, 4), sondern hören, wie man in zwei Sprachen Verhandlungen führt (5).

Verena Schaufelberger

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