23. August 2019. Das Dorf Yenggbeyalé feiert fünf Jahre nach Eröffnung der von der Initiative Monts Toura finanzierten Schule die erfolgreiche Abschlussprüfung der ersten Abgänger der Primarschule.
Es ist Vorerntezeit – die Zeit, in der Reis und Mais, die Nahrung für ein ganzes Jahr, auf den Halmen reift. Die Dorfbewohner, Männer, Frauen und Kinder, sind von früh bis spät damit beschäftigt, die Vögel von den Feldern zu verscheuchen, mit denen man die Ernte nicht teilen möchte.
Der Mann mit der Steinschleuder.
Eine junge Frau, im höheren Schulalter, gibt Auskunft, zuerst aber eine kleine Demo. Präsenzzeit zum Vertreiben der Vögel auf dem Reisfeld: täglich von 6 bis 19 Uhr. Nein, von einer abschreckenden Wirkung könne nicht die Rede sein, nicht einmal von einem Abflauen des Zudrangs der hungrigen Schnäbel. Erst nach der Ernte, frühestens Ende November, ist Ruhe. An Schule ist da nicht zu denken.
(Interview Gilbert Bakayoko)
Trotz der zeitlichen Beanspruchung durch die Sachzwänge einer zunehmend prekären Selbstversorgung wird das Schulzimmer, in dem bis vor zwei Monaten die Erst- und Zweitklässler in die Launen der französischen Rechtschreibung und das weniger launische Rechnen eingeweiht wurden, ...
... voll von Menschen jeden Alters.
Sie alle möchten die Gelegenheit nicht verpassen, mit unsern Partnern aus Man und mit mir als Vertreter der Unterstützer in der Schweiz die Freude über den Erfolg ihrer Schule zu teilen. Denn dieser hat sich auch in den anderen Dörfern und bis nach Biankouma und Man herumgesprochen.
Der Dorfchef, Siaba Sidibé, drückt seine Dankbarkeit Allen gegenüber aus, die dies möglich gemacht haben…ka wáné wáné …
… und die Frauen tun dasselbe auf ihre Weise.
Die Gäste – die Partner vom Institut für Sprache und Entwicklung IITBLD in Man und der Besucher aus der Schweiz – der den Verein Initiative Monts Toura repräsentiert, teilen mit dem Dorfchef die Stuhlreihe vorne, dem Dorf gegenüber, wo sonst die Lehrer unterrichten, wie die Spuren an der Wandttafel erkennen lassen. Die Begrüssung durch den Dorfchef wird vom Wortführer nochmals für die Gäste wiederholt und wo nötig abgerundet und ergänzt. Der Kono, so heisst dieses Ritual der Redewiederholung in der Turasprache, hält Zweck und Ziel des Anlasses für alle Anwesenden protokollarisch verbindlich fest.
Nun bin ich, Thomas Bearth, an der Reihe, Grussworte aus Spreitenbach und vom Verein Initiative Monts Toura natürlich auf Toura zu überbringen und meiner Anerkennung für die Leistungen der Lehrer und Schulabsolventen Ausdruck zu geben.
Anstelle des folgenden Videos (8:08) können Sie auch dem Text folgen.
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Zum besseren Verständnis noch ein paar Vorbemerkungen zum Ort Yenggbeyalé. Vor ein paar Jahren war dieser Ort von vielen noch als temporäre Siedlung im „hintersten Busch“ angesehen worden. Heute ist er von der Regierung als eigenständiges Dorf anerkannt. Mit dem Erfolg der Schule hat dieses den Anschluss an die moderne Welt gefunden:
Das habe ich auch den anwesenden Dorfverantwortlichen und Einwohnern attestiert. Ihr habt euch aus dem Busch klopfen lassen. So lautet etwa Emanzipation auf Tura. Káé gó kaí.
Und auch unser Verein darf hoffen, wenn sich der Trend fortsetzt, dank Fleiss und Lernerfolg von Lehrern und Schülern des Partnerdorfes unbeschwerter dem hierzulande rankenden Gestrüpp der Afrikaskepsis zu begegnen, die sich manchmal in Fragen zum Sinn solcher Partnerschaft niederschlägt.
Ich danke meinerseits den Absolventen (Absolventinnen wird es hoffentlich schon im nächsten Jahrgang geben), den Lehrern und auch den Eltern. Es ist mir wichtig, den Dank auch an die Väter und Mütter zu richten. Denn trotz allgemeiner Schulpflicht und trotz für unsere Massstäbe bescheidenen Kosten ist der Schulbesuch der Kinder noch keine Selbstverständlichkeit und für manche Eltern eine hohe finanzielle Bürde.
Die Schule von Yenggbeyalé hat vom Ministerium für Bildung die Erlaubnis, in den unteren Klassen für gewisse Fächer die einheimische Sprache, Tura, als Unterrichtssprache zu verwenden. Wir haben dafür in Zusammenarbeit mit dem Institut zwei Lesebücher entwickelt.
Das eine, für die unterste Stufe, ist das Buch „Krabbe“.
Das zweite, für die Zweitklässler, ist das Buch vom Chamäleon.
Für den Übergang in die Oberstufe zählt zwar nur das Französische. Der Erfolg der Klasse, die nun abgeschlossen hat, scheint nun aber denen Recht zu geben, die auf den Nutzen des zweisprachigen Unterrichts pochen.
Das Kurzinterview auf Französisch mit Herrn Baya, dem Vorsitzenden unseres Partnerinstituts, macht dies schon deutlich. Die auf Tura Unterrichteten sind am Ende der Primarschule in der Lage, spontan fehlerfrei, bescheiden, aber ohne verlegenes Zögern in der ihnen von Hause aus fremden Sprache Rede und Antwort zu stehen.
Der Knabe rechts im roten Hemd, Sohn einer Bäuerin von Yenggbeyalé, war uns schon durch seine Sprachbegabung in dem vielsprachigen Umfeld aufgefallen, ...
… als wir ihn vor ein paar Jahren erstmals sahen. Aber dann musste er die Schule abbrechen. Biankouma, der Hauptort mit der nächsten Schule war zu weit weg von zu Hause und die Kinder vom Land zu zahlreich, um bei den wenigen noch aufnahmewilligen Pflegefamilien unterzukommen.
Jetzt konnte er dank der Schule im Dorf den Anschluss finden und erklärt im Interview, dass er jetzt nach Biankouma ins „Collège gehen“ wird.
Alphonsine Guéli, eine andere Bäuerin aus Yenggbéyalé, damals Präsidentin der Frauen, richtete im September 2007, vor mehr als 10 Jahren, am Toura-Fest im Nachbardorf Yaloba zur Feier des Ende des Krieges den Aufruf an Behörden und ausdrücklich auch an mich, doch bitte die Schule näher zu den Kindern zu bringen, örtlich und sprachlich, statt die Kinder weit weg von zu Hause zur Schule zu schicken, wo sie die Sprache gar nicht verstehen. Alphonsine ist zwar heute auf dem Feld, um die Vögel von der Reisernte zu verscheuchen, aber auch sie freut sich, dass ihre Bitte gehört wurde und die Schule ihren erfolgreichen ersten Primarschulabschluss feiern kann.
Und noch ein anderes Beispiel: Den Jungen hier traf ich erst in der Palaverhütte mit den Verantwortlichen beim Nachgespräch über den Weiterausbau der Schule. Als ich ihn frage, ob seine Eltern sich über seinen guten Abschluss gefreut hatten, antwortet er zurückhaltend. Er wird mir auch nicht mit seiner wahren Nationalität vorgestellt. Denn noch sind die Spannungen mit den als Folge des Friedensschlusses in grosser Zahl aus dem Nachbarland zugewanderten Kakaopflanzern enorm.
Es gibt keine bessere Grundlage als das gemeinsame Interesse an der Ausbildung der Kinder, gleich woher sie kommen. Diesen verbindenden Zweck, über Abgründe Brücken zu bauen in eine gemeinsame Zukunft, erfüllt die Schule von Yenggbeyalé genau dort, wo sie ist, im Busch, wo Kakao und Gummibaum in Konkurrenz mit dem Kaffee gedeihen. Letzterer hat nach Experten allerdings längerfristig die besseren Chancen.
Die Schule mitten in einem aus landrechtlicher Sicht konfliktreichen Umfeld schliesst sich an das Bild vom Flickenteppich von Yenggbeyalé an. Es macht die Lebenszusammenhänge sichtbar, in denen das Schulprojekt von Anfang konzipiert und eingebettet war, mit unseren Beratern, unter ihnen der verstorbene Pfr. Jean-Pierre Vuilleumier [Ϯ], und die Spreitenbacher Gruppe für die Dritte Welt, dank der die Schule finanziert werden konnte.